Intrografik
Tagebuch eines Architekten auf Arbeitssuche

LOG ID Grüne Solararchitektur

4.8.2012

 

Das Architekturbüro LOG ID war in einem Gärtnereigewächshaus am westlichen Stadtrand von Tübingen untergebracht.
Dieter Schempp hatte Ende der siebziger Jahre dieses Gewächshaus angemietet und hier die Gruppe LOG ID gegründet.
Der Autor war über 20 Jahre Mitarbeiter bei LOG ID und schildert seine ersten Eindrücke, seine erste Begegnung mit der "Grünen Hölle", pardon: dem "Grünen Paradies" von Tübingen.

 

September 1983
Ich stehe vor einem ganz normalen Gewächshaus. Die Verglasung aus Klarglas erlaubt keinen Einblick. Nur schemenhaft sind Pfanzen und farbige Sonnensegel zu erkennen.
Wie tritt man in ein Gewächshaus ein? Mein Klopfen an der Glasscheibe der Eingangstüre bleibt ohne hörbare Reaktion.

Ich öffne die verglaste Metalltüre, die hinter mir wieder scheppernd zufällt.
Unglaublich, das gibt´s doch nicht und ähnliches schießt mir durch den Kopf.

Zwischen Blättern und Blüten sehe ich Zeichentische, Regale, Büroschränke.
Menschen, die konzentriert arbeiten.
Es ist sehr feucht und ein intensiver Duft erfüllt den Raum.
Meine Anwesenheit wird nur beiläufig registriert. Alle sind sehr beschäftigt.

"Ähm,....ich wollte mich gerne mal umsehen und ....."
"Schon klar, geh´ einfach mal durch. Wir sind ein Architekturbüro, die Gärtnerei ist nebenan" sagt man mir routiniert.
Alles klar.

Ich knirsche die schmalen Pfade aus Kies entlang. Die Arbeitsflächen bestehen aus einfachen Holzpodesten.
Das Gewächshaus ist niedrig. Ich muss Ästen und Rohren ausweichen.
Ich bleibe nur kurz, will nicht die Geschäftigkeit stören.

Wieder draußen. Ein Blick zurück auf das Glashaus, das in der Herbstsonne blinkt: wie wird es hier im Winter sein, wenn es einmal tagelang regnet, und im Sommer bei Hitze?
Irgendwie scheint es zu gehen.

Zuhause in Stuttgart setze ich mich hin und schreibe meine Bewerbung.
In der Wochenbeilage der Tageszeitung hatte Monate zuvor vom Tübinger Gewächshausexperiment gelesen, zufällig in Berlin Dieter Schempp auf einem Symposium gehört (auf dem Rückflug nach Stuttgart saß er drei Reihen hinter mir, gibt es Zufälle?).
Hier mitzuarbeiten wäre ein Traum!

"Vielen Dank für Ihre Bewerbung. Bitte rufen Sie mich im Januar wegen eines Termins an."
Die lapidaren Zeilen aus Tübingen waren in diesem Jahr beinahe mein schönstes Weihnachtsgeschenk.

 

Ich rechnete. Was braucht man unbedingt zum Leben in Tübingen: Miete, Freundin noch im Studium, Baby in Erwartung. 2700 DM brutto Minimum. Das könnte knapp reichen.
"Sie können im April anfangen für zwei sechs..."
Alles klar.

 

April 1983.
Die erste Arbeitswoche.
Es regnet ununterbrochen. Die Außentemperatur liegt um die 5° C.
Badplanung für ein Einfamilienhaus. Die Familie wünscht Objekte in "bahamabeige".
Berge von Katalogen. Was paßt zusammen?
Das Papier wellt sich. Das Kreppband löst sich von der feuchten Tischoberfläche.

Eine Katze setzt sich auf meinen Schoß.
"Hier saß vorher eine Katzenfreundin", ach so, alles klar.
Liebe Katze, bitte setz´ dich doch woanders hin.
Sie zerreißt beim verärgerten Verlassen des gemütlichen Ortes meine Zeichnung.

"Am besten ist es, wenn du den Tisch vor dem Festkleben des Papiers gut trocknest und erwärmst, alles klar, geht in Ordnung, kein Problem. Die Finger sind kalt, fast schon etwas blau.Der zweite Versuch. Die Bleistifthärte verändert sich mit der Feuchtigkeit des Papiers. Also bei feuchtem Wetter eher eine härtere Miene nehmen. Vorsicht: ist sie zu hart, reißt das Papier sehr leicht. Macht nichts, inzwischen hat es sowieso schon draufgetropft. Schwitzwasser an der Einfachverglasung. Läßt sich nicht vermeiden in dieser Jahreszeit. Ist ja auch ein experimentelles Gewächshaus. Ein Segel spannen, dann tropft das Wasser seitlich ab.

Es ist sehr kalt.
Wie machen das die anderen?
Seidenunterwäsche ist gut, oder Angora, aber das kratzt.

Erst mal nen warmen Kaffee.
Die Kaffeerunde ist nett. Sehr kommunikativ.
Es wird viel gelacht. Die Bauleiterin berichtet von den Problemen auf den Baustellen.

Ein Tipp: besser auf Folie zeichnen, verzieht sich nicht so.Bei hoher Luftfeuchtigkeit trocknet allerdings die Tusche sehr langsam. Dann kann alles sehr leicht verschmieren.
Alles klar. Kein Problem.

Nach Tagen der Feuchtigkeit und Kälte dann endlich Sonne.Von den unzähligen Jasminblüten kommt ein betörender Duft!

Kann aber auch mit der Zeit auf die Nerven gehen, höre ich von den Alteingesessenen.
Mit gefällt er jedenfalls, dieser Duft.

Winfried Klimesch